Bäume und Gehölze

Ein Methusalem – die Femeiche in Raesfeld-Erle

Nur ein besonders schöner alter Baum?
Nein, die Femeiche in Erle im Münsterland ist weit mehr.
Sie ist Kulturgut und ein Stück Zeitgeschichte – ein großes Stück Zeitgeschichte. 600 – 1000 Jahre alt und der älteste Gerichtsbaum in Mitteleuropa. Bis ins 16. Jahrhundert tagte unter ihr das Femgericht. Deshalb wird von Historikern ihr Alter auch noch viel höher eingeschätzt. Die Femgerichte sind zur Zeit Karl des Großen (748 – 814) entstanden. Die sogenannten Freistühle standen meistens unter besonderen Bäumen. Somit könnte sie vielleicht viel älter sein als die angegebenen fast 1000 Jahre. Wirklich feststellen kann man das leider nicht mehr. Seit 250 Jahren ist die Eiche hohl und hat kein Kernholz mehr. Nur dort hätte man mit eine Radiokohlenstoffdatierung machen können. Schade. Was bleibt sind unglaublich viele Geschichten und ein wunderbares, altes Geschöpf.

Es gibt viele geschichtliche Überlieferungen, die vom Leben der Femeiche handeln. Und das macht es für mich unglaublich spannend. Es gab immer wieder Menschen, die nach damaligem Stand der Technik, dem Baum beim Überleben helfen wollten. Es erscheint es mir wie ein kleines Wunder, das die Eiche das alles überlebt hat….

Im 17. Jahrhundert war die Eiche schon ein großer stolzer Baum, der zum kulturellen Leben in Erle dazu gehörte. Leider brach in der Zeit die Hauptkrone ab. Dadurch drang Wasser in den Stamm. Es kam zu Fäulnis und das Holz wurde morsch.
In der Pfarrchronik ist belegt, das 1750 Pastor de Weldiger den Stamm mit „scharfem Gerät“ bearbeitete um morsches Holz zu entfernen. Die Höhlung war so groß, das es Kindern möglich war hinein zu schlüpfen. Durch den Verlust der Krone baute sich die Eiche immer weiter zurück um die Transportwege zu verkürzen. Die Höhlung wurde immer größer.
1814 wurde Pastor Lohede in der Eiche ein Orden verliehen.
1819 frühstückte der damalige Kronprinz und spätere König Friedrich Wilhelm IV, während eines Manövers, mit seinen Generälen im Baum. Er war neugierig und wollte wissen wie viele seiner Infanteristen in Vollmontur in die Höhlung passten. Es waren 36 Soldaten – eine unglaubliche Zahl.
1851 tafelte Bischof Johann Georg Müller mit weiteren 11 Personen im Hohlen Stamm, inkl. Tisch und Stühlen.

Ich kann mir das heute kaum noch vorstellen. Vollständig erhalten hätte der Stamm wohl einen Durchmesser von 14 Meter. Im Jahr 1900 wurde beschrieben, das der Stamm im Inneren fast 3 Meter breit war und einen relativ intakten 15-20 cm dicken Stammmantel hatte.
1892 erfolgte durch den Gartenarchitekten Buermann aus Düsseldorf die erste Sanierung. Er zog eiserne Ringe um den Stamm und fügte Stützbalken ein.
1927 brach der Wipfel erneut ein.
1965 war die Zeit der Baumchirugie.
Der Begründer der damaligen Baumpflege war Michael Maurer (1905-1980). Das Überleben der Baumveteranen war ihm eine Herzensangelegenheit. Und so behandelte er viele bekannte Naturdenkmäler der damaligen und auch heutigen Zeit, wie die Wolframs Linde, die Tanzlinde in Effeltrich und auch die Femeiche.
Da die alten Eisenringe den Saftfluß behinderten, wurden sie entfernt, zum Teil sogar herausgeschnitten. Die Stützen wurden erneuert und das morsche Holz im Inneren entfernt. Der Rest wurde dort abgedexelt, geglättet und gegen Pilze behandelt. Rindenloses Holz bekam eine wasserabweisende Beschichtung. Totholz wurde entfernt und die Schnittstellen mit Lac Balsam behandelt. Gewindestangen wurden zur Stabilität eingesetzt.
Glücklicherweise wurde der Stamm nicht mit Asphalt, Beton oder Zement ausgegossen. Das war damals Stand der Technik, angelehnt an die Zahnmedizin. Aber diese feste Verplombung macht die Bewegungen des Stammes nicht mit und sprengt ihn dann oft auf. Das hätte die Eiche nicht überlebt.
Sehr interessant finde ich, das der Boden 40 cm tief abgetragen wurde und eine neue Schicht aus Humus, „Stammfutter“ und einem Spezialdünger aufgetragen wurde. Dazu kam eine Kiesschicht zur Belüftung. Zusätzlich erfolgten 4 Meter tiefe Bohrungen um die Bodenverdichtungen zu beheben. Seitdem gibt es ein Betretungsverbot des Wurzelraumes. Kosten: 20.000 DM. Das war für die damalige Zeit eine stolze Summe. Respekt vor den Verantwortlichen, das sie der Eiche eine so große Wertschätzung entgegen brachten.

1986 kam es zu einer erneuten Behandlung. Der Kies wurde durch Lavagranulat ersetzt, 10 neue Stützbalken gesetzt und der Baum baumpflegerisch behandelt.
2000 gab es leider wieder einen Sturmschaden.
Mittlerweile gibt es noch drei dünne Rindenschalen, die wie eine Skulptur miteinander verbunden sind. Da das Kambium immer noch intakt ist, hat die Femeiche eine bemerkenswert vitale Krone. Durch behutsame Baumpflege wird sie darin unterstützt.

Seit 1900 wird die Eiche geschützt. 1996 wurde sie als Naturdenkmal eingetragen.
Am 31. Oktober 2021 wurde sie als 16. Nationalerbebaum ausgerufen. Der erste in NRW. Dadurch bekommt sie eine noch bessere Betreuung und Pflege.
Beim Heimatverein Erle kann man junge Sämlinge von ihr bekommen. So wird ihre einzigartige Genetik weiter gegeben. Und sie ist wirklich einzigartig. Denn sie treibt ihre Blätter viel eher aus als alle anderen Eichen in der Umgebung. Das, und die vielen Berichte machen diesen Baum sehr spannend.


2024 begannen die Arbeiten zur Neugestaltung des Umfeldes. Es gibt jetzt einen Femeichenpark. Die offizielle Eröffnung ist im April 2025.

Das Femgericht

Einen Fembaum umgibt immer eine Aura des Geheimnisvollen und Schrecklichen. Dort tagte das Femgericht. Von einem Freistuhl (eine große Steinplatte) aus hielten dort ein freier Graf und 6 Schöffen Gericht. Die Rechtsprechung erfolgte nach den Gesetzten von Karl dem Großen, 748 – 814. Die Mitglieder trugen große Kapuzen um nicht erkannt zu werden. Auch die Verhandlung war geheim. Meistens ging es um Kapitalverbrechen, auf die der Tod durch den Strang stand. Kam es zu einem Schuldspruch und der Angeklagte war nicht anwesend, wurde er verfemt. Das bedeutete das er vogelfrei war und von jedem am nächsten Baum aufgeknüpft werden konnte. So geschehen im Jahr 1441. Da wurde unter der Eiche Freigraf Bernt de Duiker und zwei seiner Knechte wegen Mordes verfemt und in Abwesenheit für Vogelfrei erklärt.
Bis zum Jahr 1589 wurde Femegericht gehalten. Danach musste das Gericht viel Macht abgeben. Ende des 18. Jahrhundert wurde es aufgelöst. Die Steinplatte wurde als Denkmal in Dorsten aufgestellt, landete 1945 aber leider in der Lippe.

Mich fasziniert die Femeiche und ihre Geschichte sehr. Zum einen von der Kulturellen Bedeutung her. Am stärksten allerdings durch diese Einzigartigkeit als Baum. Komplett hohl ernährt sie ihre Krone nur noch durch dünne drei Rindenschalen, und das schon seit Jahrzehnten. Welch ein Lebenswille. Sie hat viele Stürme und alte, gutgemeinte Behandlungen überlebt und immer noch eine vitale Krone. Durch die Jahrhunderte durch war sie der kulturelle Mittelpunkt in Erle und dem ganzen Gebiet. Sie ist ein bewundernswertes Lebewesen und zeigt uns, das es immer irgendwie weitergeht.
Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall. Man kann auch Führungen beim Heimatverein Erle buchen. Das steht auf jeden Fall noch auf meinem Programm.

Quellen: Nationalerbebaum, Wikipedia, Heimatverein Erle

2 Comments

  • Petra

    Liebe Barbara, vielen Dank für diese spannende historische Baumgeschichte, die wirklich wie ein Märchen erscheint. Dieser Baum hat wahrlich eine gewaltige Lebenskraft und wurde über Jahrhunderte immer wieder von Menschenhand auf wundersame Weise und mit viel Liebe und Fachkenntnissen gerettet.
    Du hast ja wirklich ausführlich recherchiert, da spiegelt sich wirklich deine Leidenschaft für die alten Baumriesen und die deutsche Geschichte wieder. Ich habe seitdem ich deine Beiträge lese, eine andere Einstellung zu Bäumen entwickelt. Wobei sie mich schon immer fasziniert haben, da wir in unserem Dorf auch sehr alte Eichen hatten.
    Nochmals vielen Dank für deine immer wieder inspirierenden Beiträge und nicht nur über Bäume . Liebe Grüße Petra

    • Barbara

      Liebe Petra, danke für deinen lieben Worte. Mich hat dieser Baum auch sehr berührt. Diese alten Bäume werden leider immer weniger. Und sie werden, dank uns Menschen und unserm „Umweltbewusstseins“, nicht nachwachsen. Umso wichtiger ist es, das wir uns für sie einsetzten und andere begeistern. Liebe Grüße Barbara

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